Es ist Abend.
Eine Kerze brennt, leise Jazzmusik läuft im Hintergrund.
Zwei Gläser Rotwein stehen auf dem Tisch.
Neben mir sitzt sie – die Multiple Sklerose.
Ungebeten, und doch längst Teil meines Lebens.

„Also… wer bist du eigentlich?“, frage ich.
„Ich bin die Multiple Sklerose“, antwortet sie ruhig.
„Ich wohne in deinem Nervensystem – in Gehirn und Rückenmark.“

„Und was machst du da?“

„Ich bringe dein Immunsystem durcheinander“, sagt sie.
„Ich lasse es das Myelin angreifen – die Schutzhülle deiner Nerven.
Ohne sie geraten Signale ins Stocken.
Manche werden langsamer, manche verschwinden ganz.“

„Also zerstörst du meine Verbindungen?“
„Genau.
Es entstehen Narben, Plaques.
Die machen sich bemerkbar:

Müdigkeit.
Taubheit. Schwindel.

Manchmal auch Probleme beim Sehen oder Denken.“

Stille.
Nur die Musik füllt den Raum.

„Warum ich?“, frage ich schließlich.

Sie zuckt mit den Schultern.
„Das weiß niemand.
Ich bin unberechenbar.
Mal still, mal laut.
Ich halte mich nicht an Regeln.“

„Kann ich dich loswerden?“

„Nicht ganz“, sagt sie.
„Aber du kannst mich schwächen.
Medikamente. Bewegung. Ernährung.
Und dein eigener Wille – all das nimmt mir Kraft.“

Ich sehe sie an.
„Also bleiben wir zusammen?“

„Ja“, sagt sie leiser.
„Aber vergiss nicht:
Auch wenn ich hier sitze – du entscheidest, wie viel Platz ich bekomme.“

Die Kerze knistert.
Die Musik läuft weiter.

Ich nehme einen Schluck Wein und denke:
Vielleicht kann ich sie nicht hinauswerfen.
Aber ich kann bestimmen, wo sie sitzt –
am Rand,
nicht in der Mitte meines Lebens.